Der Start war schwierig

Von Markus Geling, Zeitungshaus Bauer

„So ist das Leben!“, ruft Sarah beim Würfelspiel fröhlich-triumphierend in die Runde. Den Satz hat sie von ihrem Pflegevater René. Der 39-Jährige sagt ihn ganz gerne mal, um eine Diskussion abzukürzen. Das sieben Jahre alte Mädchen zitiert ihn nun mit großer Freude. So einig waren sich die beiden nicht immer. „Wir haben ein super Verhältnis“, sagt René. „Aber der Start war sehr schwierig.“

Seit gut vier Jahren lebt Sarah nun bei René und dessen Frau Manon (35). Die Eheleute hatten damals bereits eine gemeinsame Tochter, Anna, aber auch das Gefühl, noch nicht komplett zu sein. „Wir wollten schon immer viele Kinder haben, Kinder sind etwas Tolles“, sagt Manon. „Und auch Anna hat sich ein Geschwisterchen gewünscht.“ Weil es aber mit einer erneuten Schwangerschaft nicht klappte, entschied sich das Paar, noch mal eine etwas andere Familie zu gründen: eine Westfälische Pflegefamilie.

„Westfälische Pflegefamilien machen es sich zur Aufgabe, Kinder in ihr Leben zu integrieren, die eine ganz besondere Geschichte haben“, sagt Katrin Grundmeier. Sie leitet beim Diakonischen Werk im Kirchenkreis Recklinghausen das vierköpfige Team, das für die Beratung und Begleitung solcher Familien zuständig ist.

Fachlich korrekt ausgedrückt geht es um besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche oder solche mit Behinderungen. Konkret kann das bedeuten, dass die Mädchen und Jungen psychisch oder suchtkranke leibliche Eltern haben. Dass sie stark vernachlässigt wurden, große Armut kennengelernt und Gewalt miterlebt haben. Dass sie unter Traumatisierungen leiden. „Irgendein Thema haben alle unsere Kinder“, sagt Katrin Grundmeier. „Und bei fast allen spielen Bindungsstörungen eine Rolle: Weil sie nie eine Beziehung kennengelernt haben, auf die sie sich wirklich verlassen konnten.“

Auch Sarah hat ihre besondere Geschichte. Und die ließ es anfangs nicht zu, dass sie sich mit René zum Essen an einen Tisch setzte. Bei einem vom Alter und Aussehen her bestimmten Typ Mann kann sie erst mal keinen Kontakt zulassen, bricht sofort in Tränen aus. René musste alleine essen. „Aber ich wusste: Irgendwann kriegen wir den Dreh. Und so war es dann ja auch“, sagt der 39-Jährige, der eine große Ruhe ausstrahlt. „Außerdem hat Sarah ja sonst eine total tolle, fröhliche, offene Art. Sie macht es einem sehr leicht, sie gern zu haben“, findet Manon.

Die 35-Jährige wirkt sehr herzlich, versprüht viel Energie. Sie ist Heilerziehungspflegerin – und bringt damit eine wichtige Voraussetzung mit. Denn in einer Westfälischen Pflegefamilie muss immer einer sein, der eine passende Ausbildung hat, Pädagoge ist, Ergotherapeut oder Arzt – oder jemand, der aufgrund seiner Lebenserfahrung geeignet ist, ein Kind mit besonderer Geschichte aufzunehmen und groß zu ziehen. „Außerdem ist der Charakter wichtig, die Haltung, es muss eine große Offenheit da sein. Und die Familien müssen schon einiges aushalten können“, sagt Dorothea Heinze, die bei der Diakonie die Beraterin von René und Manon ist – und gerade in der Anfangszeit sehr gefragt war. „Wir sind eine öffentliche Familie“, sagt Manon sogar. Denn: Eine Westfälische Pflegefamilie adoptiert das Kind nicht – und hat deshalb über die Diakonie hinaus mit dem Jugendamt, gegebenenfalls dem Vormund sowie der Herkunftsfamilie zu tun. Gerade der Umgang mit den leiblichen Eltern sei „oft eine große Herausforderung“, so Katrin Grundmeier.

Die Wahl der Schule, evangelisch oder katholisch, Operation ja oder nein – über solche „lebensweg-relevanten“ Themen können René und Manon in der Regel nicht alleine entscheiden. „Aber es ist nicht so, dass man ständig daran denkt. Im Alltag läuft es bei uns so, wie es in einer ganz normalen Familie laufen sollte“, findet Manon. Eine Familie, die jetzt sogar noch größer geworden ist. Denn mittlerweile gehört auch der kleine, gerade ein Jahr alt gewordene Miko dazu. Auch der Junge, der gerade von Anna (11) strahlend durch den Raum getragen wird, ist ein Westfälisches Pflegekind. Wie er sich gesundheitlich entwickeln wird, ist für René und Manon noch nicht abzusehen. Aber sie hoffen, dass auch er in ein paar Jahren zufrieden-gelassen feststellen kann: „So ist das Leben.“

Wenn Sie sich für die Westfälischen Pflegefamilien interessieren. Die nächsten Informationstreffen sind:

Donnerstag, 19.01.2017, Lucia-Grewe-Straße 13, Recklinghausen
Montag, 23. 01.2017, Bachstraße 22, Marl
Donnerstag, 26.01.2017, Reinhard-Freericks-Str. 17, Haltern am See
Alle Veranstaltungen beginnen um 19.30 Uhr.

Kontakt: Katrin Grundmeier, 02361 9377510

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